Zusammenfassung eines Vortrages auf dem DNE- Fachtag am 27.11.2018

Aufbauend auf die vorangegangenen Beiträge begann der Vortrag mit einem kurzen Zwischenfazit: Angesichts vieler Unklarheiten und widersprüchlicher Befunde ist eine differenzierte Auseinandersetzung mit der Schnittmenge zwischen Psychopathologie und Extremismus geboten. So kann sich der Zusammenhang beider Phänomene je nach Definition und Konzeptualisierung von Extremismus, psychischer Störung und Radikalisierungsprozess, sowie je nach methodischer Vorgehensweise und Operationalisierung der Konstrukte unterscheiden. Bei differenzierter Betrachtungsweise zeichnet sich unter bestimmten Bedingungen eine Relevanz psychischer Störungen für den Radikalisierungsprozess ab, auch wenn diese nicht generell nachgewiesen werden kann. Vielmehr interagieren psychische Störungen als Vulnerabilitätsfaktoren mit Umgebungsvariablen verschiedener Ebenen, welche in einem bio-psycho-sozio-spirituellen bzw. -ideologischen Modell eingeordnet werden können. Die Komplexität des Zusammenspiels macht dabei eine interdisziplinäre Betrachtungsweise – sowohl innerhalb als auch außerhalb der Psychologie – erforderlich. Hingewiesen wurde dabei auf den Nutzen eines Psychopathologie-Verständnisses, das die psychische Störung als Extrem eines Kontinuums von mentaler Gesundheit auffasst, sowie auf gebotene Vorsicht in der Ursachenzuschreibung.

Nach dieser Einführung wurde die Schnittmenge zwischen Deradikalisierungsarbeit und klinischer Versorgung anhand des DNE-Fallaufkommens im Phänomenbereich Islamismus konkretisiert, bei dem sich der Zusammenhang zwischen Radikalisierung und Psychopathologie nicht nur intra- sondern aufgrund des Zugangs über die Angehörigen der Index-Personen auch inter-individuell zeigt. Dabei wurden zwei Konstellationen unterschieden: Zum einen Fälle, bei denen die Indexperson im familiären Umfeld lebt und sich der fragliche Radikalisierungsprozess aktuell abzeichnet, zum anderen Angehörige von Indexpersonen, bei denen der Radikalisierungsprozess sich bereits in einer Ausreise manifestiert hat. Für beide Fallkonstellationen wurden gemeinsame und exemplarische sozio- demographische Variablen, psychische Auffälligkeiten und intra- bzw. interindividuelle Dynamiken, sowie abgeleitete Interventionen vorgestellt. Anhand von zwei Vignetten aus der ersten Fallgruppe wurde dabei die Relevanz der Unterscheidung zwischen entwicklungstypischen Konflikten und psychopathogenen Mechanismen veranschaulicht. Die Herausforderung liegt dabei darin, den Radikalisierungsprozess zu demaskieren: Liegen entwicklungstypische Prozesse, familiäre Strukturen oder psychopathologische Auffälligkeiten zugrunde – oder äußert sich die Radikalisierung in zunehmend starren religiösen/ideologische Überzeugungen oder gruppendynamischen Verstrickung? In der Vorstellung der zweiten Fallgruppe wurde deutlich, dass die Radikalisierung als fraglicher Auslöser psychischer Auffälligkeiten bei Angehörigen ihre Wirkmacht im Kontext vielfältiger Belastungsfaktoren entfaltet. In der anschließenden Diskussion kamen zudem arbeitsfeldspezifische Herausforderungen bzw. Problemfelder in der Diagnostik, im Beratungsprozess, in der Vermittlung und im berufsethischen/ fachlichen Diskurs zur Sprache.

Tabea Fischer
M.Sc. Klinische Psychologin